November 2023; Vilaine, Bretagne Frankreich.
Die Reise beginnt mit einer Autobahnvollsperrung. Statt zügig in Richtung Belgien zu fahren, bin ich für 3 Stunden in einer Autobahnbaustelle kurz vor Köln eingesperrt. Eigentlich wollte ich auf dem Weg gemütlich übernachten. Daraus wird jetzt dummerweise nichts mehr. Nachdem sich der Stau aufgelöst hat, fahre ich in die nasse Novembernacht in Richung Westen. Frankreichs Norden ist überschwemmt und es müssen neben Müdigkeitsphasen auch noch Umwege gemeistert werden. Irgendwie komme ich durch, ergattere mir an einem verlorenen Automat an einer Autobahnraststätte einen Kaffee und schlafe noch eine Runde. Ich habe mich um 10:00Uhr morgens auf dem Parkplatz einer Flußmarina mit Antoine verabredet. Antoine ist der Besitzer einer 12m langen Aluminiumsegelyacht, die er mir zum Kauf angeboten hat, nachdem wir uns nun schon seit einigen Wochen per Whatsapp unterhalten. Das Angebot habe ich in einem Portal für Segelboote gefunden. Ein 30 Jahre altes robustes Boot – etwas ungepflegt und vor allem sehr sehr grau.
Schon im Sommer hatte ich begonnen Suchkriterien festzulegen. Neben dem Stahl war auch Aluminium beim Rumpfmaterial ganz vorne. Mein Plan ist es immer gewesen innerhalb eines überschaubaren Refits einen möglichen Neuerwerb mit vollem persönlichen Einsatz so richtig hochseefest zum Blauwassersegler auszubauen. Teak auf dem Deck und anderer seefahrerische Schmuck stört wegen der notwendigen anspruchsvollen Pflege und der unvermeidbaren Empfindlichkeit der Materialien eher meine Pläne. Anstatt Oberflächen zu polieren, ziehe ich es vor, die spannende nautische Technik auf Vordermann zu bringen und zu pflegen. Nein eine Schönheit ist SUN nicht. Dafür hat das Boot aber in seinem Erhaltungszustand, und seiner einfachen Robustheit für meine Ansprüche sehr großes Potential.
Ich treffe Antoine – er schon in voller Segelmontur auf dem Parkplatz. Wir beide – Antoine und ich haben vereinbart 3 ganze Tage mit der Kaufinspektion und der Vertragsgestaltung zu verbringen. Dabei ist geplant das Interieur, die Technik und alle Zubehöre zu checken und auch den Rumpf zu beschauen. Antoine hat nach seiner Familiengründung nicht mehr viel Zeit gehabt sich um sein Boot zu kümmern. Wahrscheinlich war auch das Budget knapp. Außerdem wohnt er 700 Km weiter im Süden Frankreichs. So hat er sich entschieden zu verkaufen.
Nach dem Ausräumen seiner Besitztümer blieb offensichtlich auch keine Zeit mehr für eine Reinigung. Die Yacht hing einige Zeit ungesegelt an einer Boje im Fluß. Da die Südbretagne vom warmen Golfstrom verwöhnt wird, muß man hier nicht mit Treibeis rechnen und so blieb sie auch im Winter im Wasser. Nachteil der ganzen Sache ist der Algenbewuchs auf dem laufenden Gut und überall da wo Holz an Deck verbaut wurde, ich lasse mich davon nicht stören. Mit einem einfachen Reiniger läßt sich das schnell beheben.
Die erste Testfahrt geht dann Flussaufwärts bei gutem Wind – wir können alle Segel setzen. Die sind wie auch im Angebot schon beschrieben relativ alt, aber trotzdem noch in erstaunlich gutem Zustand. Von den 3 Vorbesitzern ist nur der erste über größere Distanzen und über längere Zeit gesegelt. Die anderen nutzten die Yacht wohl im wesentlichen für den Sommerurlaub.
Ich ergreife die Gelegenheit und checke das Rigg. Sehr praktisch ist das Aluminiumdeck, das fest mit dem Rumpf verschweißt ist. Alle Decksbeschläge sind bombenfest und ohne Korrosion. der Mast und das feste Gut sind soweit in Ordnung. Allerdings hat der Baum einen Knick am Ansatzpunkt des Niederholers. Dieser Schaden war nicht im Angebot erwähnt und nicht auf den Bildern zu erkennen.
Nach dem Ansegeln fahren wir mit der Maschine gegen an wieder zurück zur Marina und machen fest. Der gute alte Perkins 4.108 startet sicher und läuft ohne weitere Auffälligkeiten. Der Öldruck stimmt. Er hat schon 4000 Stunden auf der Uhr. Angeblich hält er bei guter Pflege mindestens nochmal so lange.
Der Innenraum ist wie beschrieben gut und robust ausgebaut Der offene Salon ohne Schotts ist ungewöhnlich, aber das Raumgefühl unter Deck gefällt mir ganz gut. Es gibt viele Nischen und Schapps zum stauen, die großen Diesel- und Wassertanks aus Edelstahl sind professionell eingebaut und sicher vom Rumpfmaterial isoliert. Der große Dieseltank ist im Kiel als einziger Tank direkt in Aluminium ausgeführt. Die Elektro- Wasser und Treibstoffinstallationen sehen ordentlich und durchweg einheitlich aus.
Generell ist die Zeit aber stehen geblieben. Die Elektronik ist zu 100% noch aus der Zeit der Erstwasserung. Das Funkgerät funktioniert nicht – beim Radar, das noch mit einer Elektronenröhre anzeigt, bin ich mir nicht so ganz sicher. Viele LCD Anzeigen der Autohelm Navigationselektronik sind ausgebleicht, die Logge wurde nach der letzten Wartung nicht mehr in die Rumpfdurchführung eingeschraubt. Das Anemometer auf dem Masttop dreht nicht mehr. Die Hochdruckpumpe für den Wassermacher wurde wohl nach einer Wartung nicht mehr eingebaut und vom Wellengenerator hing nur noch der Keilriemen auf dem Wendegetriebe.
Nach dem ersten Abend bin ich etwas frustriert – sei es wegen der durchfahrenen Nacht oder der Abweichungen vom ursprünglichen Angebot, in dem der Wellengenerator, der Wassermacher und das unbeschädigte Rigg als funktionsfähig aufgeführt waren.
In dieser Gegend ist wahrscheinlich jeder irgendwie Segler oder Seemann. Mein Zimmer in einem ländlichen B&B der Nähe der Marina bei Patrick und Sylvie ist sehr nautisch gestylt. Die beiden segeln selber in einer Bootsgemeinschaft. Nachdem ich ein bisschen von meinem Frust und meiner Unsicherheit erzählt haben, geben Sie mir einige sehr gute Ratschläge. Nach sehr erholsamem Schlaf im gemütlichen Zimmer bin ich am nächsten Tag nach dem Frühstück deutlich fitter und frustationstoleranter.
Ich treffe mich wieder mit Antoine am Hafen. Wir versuchen nun einen Krantermin zu bekommen. Die Werft am Ort hat wegen eines Feiertages und des nachfolgenden Brückentages geschlossen – das war so nicht eingeplant. In einem Nachbarort haben wir Glück. Am nächsten Tag ist ein Termin frei. Den ganzen Morgen verbringen wir nun damit das Inventar zu prüfen und die Agregate zu testen. Ich schaue die Bilge und die Seeventile durch – alles sehr trocken und perfekt, von innen sieht der Rumpf wie neu aus. Korrosion ist nicht vorhanden. Der Motor ölt ein wenig – gemäß der einschlägigen Seglerforen ist das aber anscheinend beim Perkins normal. Das Öl wird in einer sauberen Aluwanne aufgefangen und kann nicht in die Bilge fließen. Ankerwinsch und Fernbedienung, der elektrische Autopilot und der wuchtige dänische Schiffsofen funktionieren. Der große Windpilot ist im Heck verstaut und soweit sichtbar vollständig, die Halterung ist fest am Heck angeschraubt. Zeit zum Testen bleibt leider nicht. Der Außenbordmotor des Dingi und das Beiboot selbst sind gerade mal ein Jahr alt. In den Hohlräumen im Achterschiff befinden sich noch viele Ersatzteile, eine Leiter, eine Baumbremse ein drittes Vorsegel mit zugehörigem Stag, ein Gennaker und so weiter.
Am Nachmittag verhandeln wir den Vertrag und korrigieren die Inventarliste. Das ist langwieriger als gedacht. Ich habe extra einen Drucker mitgebracht, um möglichst alles sicher auf Papier festzuhalten. Der Vertragstext kommt von einem Standardvertrag aus dem Internet. Eine CE Konfirmationserklärung gab es zur Entstehungszeit des Bootes nicht. (Später habe ich die Registrierung der Abnahmeerklärung im Französichen Nationalarchiv gefunden, die auf nationaler Basis in 1983 erstellt wurde). Die größten Abweichungen, die ich finden konnte, habe ich in der Verhandlung pauschal vom Angebotspreis abgezogen. Dies waren im wesentlichen die fehlende Hochruckpumpe, der fehlende Wellengenerator, das defekte Funkgerät, das Radar, der defekte Baum und der generell schlechte Gesamtzustand der Elektronik. Schließlich konnten wir uns auf einen Kaufpreis einigen – der unter Vorbehalt der Rumpfinspektion gelten sollte. Sobald die Überweisung des Kaufpreises abgewickelt ist, soll die SUN aus dem französichen Schiffsregister gelöscht werden (radiation du pavillon francais).

Am nächsten Tag – der eigentlich der letzte der Reise sein sollte, setzen wir wieder die Segel. Der Wind hatte sich in den letzten Stunden verstärkt und so konnten wir bei ungefähr 6-7 Windstärken bei Raumwind schnell den Fluss hinuntersegeln. Der Sturm in der Nacht hatte mehrere Segelboote von den Mooringbojen abgerissen und auf das felsige Flussufer gedrückt. Die SUN blieb völlig unbeeindruckt, auch als der Wind in der Nähe der See weiter auffrischte. Wir konnten direkt in den Kranschacht einfahren. Nach dem Kärchern konnte das Boot in den Gurten hängen bleiben. Die Kranwaage zeigte ca 9,5To an. An der Rotgusschraube hatte sich ein Ansatz von Korrosion gebildet – Glück gehabt – nach ein paar Wochen, wäre wohl nichts mehr zu retten gewesen. Die Ringanode auf der Edelstahlwelle war wohl kürzlich abgefallen. Die Rumpfanoden und die Anode am Ruder sind noch einigermaßen in Ordnung.
Wegen ungleichmäßiger Beladung liegt die Yacht nicht genau in der vom Konstrukteur vorgesehenen Wasserlinie. Am Bug steht die Rumpfbeschichtung an der Luft. Hinter dem schmalen Streifen, der im Trockenen lag, hat sich der Primer gelöst und Korrosionsblasen sind entstanden. Ärgerlich über die erneute Abweichung war ich nun kurz davor den Vertrag nicht zu unterschreiben. Antoine fand glücklicherweise einen Servicetechniker aus der Aluwerft in der Nähe, der mich wieder etwas beruhigen konnte. Er meinte dass an diesen kritischen Stellen oft Blasen entstehen und durch eine Erneuerung des Primers einfach behoben werden. Die Korrosion ist oberflächlich und nur in einem begrenzten Bereich. Antoine erklärte sich bereit, den Schaden auf seine Rechnung beheben zu lassen.
Nachdem wir nun wieder nach ca 2 Stunden Motoren am späten Nachmittag zur Marina zurückkamen, wurde der Vertrag endgültig unterschrieben. Einen Platz auf dem Trockenlager hatte ich noch nicht und die einzige Werftanlage mit freien Plätzen öffnete erst am nächsten Tag. Der Vertrag wurde unterschrieben und ich hatte ein Boot – ca 1300 Km weg von Zuhause. Antoine machte sich auf den Weg. Kurzerhand nahm ich noch einen Tag Urlaub und zog in die SUN ein.

Ich hatte riesiges Glück. Die Werft machte es möglich, direkt morgens auf die Slipanlage zu fahren. Lagerplätze im Außenlager waren noch frei. Einhändig auf dem ungewohnten Boot, ging es vom Steg los und mit 2 Anläufen und einem ordentlichen Schubs vom Perkins traf ich dann den Slipwagen. Noch schnell alles gesichert, die zwei Vorsegel abgeschlagen und als stolzer Bootsbesitzer ab auf die Autobahn nach Hause.